Auszüge aus meinen Ansprachen zu den Gedenkveranstaltungen in Brakelsiek, Wöbbel und Siekholz:
„Vergesst die Toten nicht!“
So hieß es kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bei der Gründung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Seit Jahrzehnten ist der Volkstrauertag vor allem der Trauer um die Toten der
beiden Weltkriege gewidmet. […]
Leider ist es so, dass zu viele Menschen, zu viele Staatsoberhäupter aus der Geschichte nichts gelernt haben. Der schreckliche Angriffskrieg von Putin direkt vor unserer Tür führt uns vor Augen, dass unser Frieden ein zerbrechliches Gut und alles andere als selbstverständlich ist. […]
In diesem Jahr ist der Volkstrauertag daher so aktuell wie nie. Der Schmerz verbindet uns heute in ganz besonderer Weise mit den Toten des Putin-Kriegs in der Ukraine.
Der Putin-Krieg hat vieles verändert. Dieser Krieg führt uns vor Augen, wie zerbrechlich der Frieden ist. Wir alle, die wir hier sind, kennen nur Frieden. Wir glauben, Frieden sei eine Selbstverständlichkeit. Das ist er aber nicht! Wir müssen uns immer wieder für den Frieden einsetzen und ihn bewahren.
Der Putin-Krieg hat aber auch unser Denken verändert und unser zum Teil doch naives Weltbild zerstört. Wir haben uns eingebildet, dass es ausreichend sei, gegen den Krieg zu sein, um Frieden zu haben. Die Welt ist leider viel komplizierter. Es ist gut und richtig, wenn wir keinen Krieg wollen. Denn im Krieg gibt es immer nur einen Gewinner und das ist der Tod! Wenn wir keinen Krieg wollen, heißt das aber nicht, dass wir uns auf diesen Krieg nicht vorbereiten müssten. Alles andere wäre eine Verleugnung der Realität. Wenn wir uns auf einen Krieg nicht vorbereiten, weil wir ihn nicht wollen, dann kann das nämlich dazu führen, dass der den Krieg gewinnt, der ihn will. Und dass es Machthaber gibt, die einen Krieg wollen, hat uns Putin brutal vor Augen geführt und uns gezeigt, dass der Glaube, es gäbe keine Bedrohung, unserem Wunschdenken entspricht, aber nicht der Realität. […]
Nachdenklich macht es mich aber auch, wenn wir Kriegserfolge der Ukraine bejubeln, als handele es sich um ein Fußballspiel, bei dem unsere favorisierte Mannschaft ein Tor erzielt. Jeder kriegerische Erfolg geht immer einher mit unglaublichem menschlichem Leid. Das kann man doch nicht bejubeln. Krieg kennt nur einen Gewinner und das ist der Tod. […]
Mich erstaunt immer wieder, dass in der Berichterstattung kaum von den Toten dieses Putin-Kriegs die Rede ist. Nach aktuellen Schätzungen geht man bisher von bis zu 250.000 Toten auf beiden Seiten aus. 250.000 Tote! Wollten wir für jeden Toten eine Gedenkminute einlegen, dann müssten wir bis zum 8. Mai schweigen. Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung von Hitler-Deutschland, welch Ironie.
Ich hoffe, dass schnell Frieden kommen wird. Aber was kommt dann? Wie wird unser Verhältnis zur Ukraine sein? Ein Staat, bei dem wir vor dem Krieg Korruption und Rechtsextremismus kritisiert haben. Wie wird unser Verhältnis zu Russland sein? Ein Staat, mit dem wir vor dem Krieg enge wirtschaftliche Beziehungen gepflegt haben.
Es ist bei uns gerade Konsens, dass wir Russland auch nach dem Krieg ächten und isolieren sollen. Ich halte das für falsch! Es wird hoffentlich bald eine Zeit nach dem Krieg geben und hoffentlich ist das eine Zeit ohne Putin. Und dann muss ein mühsamer Weg der Versöhnung eingeschlagen werden. Wir können doch nicht auf alle Zeiten Russland ächten und isolieren.
Ohne Versöhnung und Verständigung werden die Konflikte immer wieder von neuem Aufbrechen. Wer kann das besser beurteilen als wir Deutsche? Die internationale Gemeinschaft hat auch nach zwei Weltkriegen mit unglaublichem Leid Deutschland die Hände zur Versöhnung ausgestreckt. Das sollten wir nicht vergessen.
Heute aber bitte ich Sie, dass wir zunächst der Opfer gedenken. Der Opfer auf beiden Seiten. Der Opfer auf ukrainischer Seite und der Opfer auf russischer Seite. Die Opfer sind zumeist junge Menschen, die keine Wahl hatten. Es sind zumeist Söhne, aber auch Töchter, die von ihren Familien und Freunden beweint werden. Es sind zumeist junge Menschen, die ihre Zukunft noch vor sich hatten. Es sind junge Menschen, deren Aufgabe es war, für ihr Land zu dienen und denen mit dem Tod gedankt wurde.